Läuferinnen bei Paralympics
Läuferinnen bei Paralympics
Zurück

Rückblick Paralympics: Die Medaillen fallen nicht mehr vom Himmel

René Will zum Abschluss der Paralympics in Rio de Janeiro. Ein Gastkommentar erschienen am 18. September 2016 in der „Ostschweiz am Sonntag“.

Hühnerhaut-Zeit in Rio

Ich schaue mir die Halbfinal- und Finalläufe unserer Abassia Rahmani und des Schweizer Rollstuhlathleten Marcel Hug an und weiss: Da haben auch wir als Sportverband, zusammen mit unseren nationalen Partnerorganisationen, einiges richtig gemacht. Ich bewundere die Exploits dieser Superathleten und freue mich über ihre Top-Leistungen. Das erklärte Medaillenziel wird die Schweiz in Rio aber verpassen, und ich weiss, dass der Weg zu paralympischen Medaillen in Zukunft noch steiniger werden wird. Und das nicht nur wegen der Kleinräumigkeit der Schweiz.

Es hat damit zu tun,

dass die Schweiz zum Glück seit vielen Jahrzehnten von Kriegen und Kriegseinsätzen verschont geblieben ist. Dass in der Schweiz die Gesundheitsversorgung, die Unfallprävention und die Rehabilitationszentren, mit denen wir eng zusammen arbeiten, einen sehr hohen Stand aufweisen. Und dann kommt noch etwas Entscheidendes dazu: Die Schweiz als eher egalitäre Gesellschaft fördert sehr stark den Breitensport, aber eher minimal den Spitzensport. Wenn man sich vor Augen führt, was es nebst Talent und Willen alles braucht, um irgendwann an der Weltspitze dabei zu sein: Langjähriger systematischer Trainingsaufbau, professionelle Strukturen, Trainer auf internationalem Level und vieles mehr. Wir alle freuen uns, wenn wir die Nationalhymne hören und bei der Rückkehr der Athleten die Kuhglocken schwingen können. Aber das hat einen hohen Preis, den nicht nur die Athleten und ihre Verbände bezahlen dürfen, sondern an dem sich auch die Gesellschaft vermehrt beteiligen muss. Sonst geht die Rechnung nicht auf. Bei uns hängt noch zu viel finanzielle Verantwortung vom Goodwill und Leistungsvermögen der Sportverbände ab. Die Spitzensportförderung in der Schweiz muss auch in der Politik mehr Rückhalt erfahren.

Was braucht es nebst Geld noch

damit wir uns auch in Zukunft über erfolgreiche Schweizer Paralympioniken freuen können? Ganz viel mediale Unterstützung! Und da stellen wir seit den Spielen in London 2012 ein Aufwachen fest. Viele Medien haben erkannt, welche enormen sportlichen Leistungen und welche verrückten Lebensgeschichten hinter unseren paralympischen Athleten stecken. Jetzt gilt es aber, so früh wie möglich Sportler aufzuspüren und ihnen - in Zusammenarbeit mit Nichtbehinderten-Sportverbänden - eine optimale Struktur anzubieten. Wenn es uns gelingt, noch effizienter solche Förderketten aufzubauen, dann können irgendwann weitere Medaillen gefeiert werden. Medaillen, die nicht nur von der Zufälligkeit eines Ausnahmeathleten abhängen, sondern auf der Basis einer systematischen Förderung entstanden sind. Wenn alle Genannten am gleichen Strick ziehen, dann hat die Schweiz auch im paralympischen Sport weiterhin bronzene, silberne oder sogar goldene Perspektiven!

René Will ist Geschäftsführer von PluSport Behindertensport Schweiz und Vizepräsident von Swiss Paralympic.