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Karate ohne Barrieren

Stille. Absolute Stille herrscht an diesem Samstagmorgen in der Halle in Cossonay. Lilli zeigt gerade ihre Kata. Als sie fertig ist, winkt sie unter dem tosenden Applaus der Zuschauer den Kampfrichtern zu und lacht.

Lilli bewegt sich normalerweise nicht so gerne, sagen ihre Betreuer. Dennoch besucht sie seit fast zwei Jahren regelmässig das Training. Dies ist ihre zweite Turnierteilnahme. Lilli ist 63 Jahre alt und macht Karate.

50 Athletinnen und Athleten aus der ganzen Schweiz bestreiten das erste nationale Karate-Turnier für Menschen mit Handicap im waadtländischen Cossonay. Die Athleten und auch die Zuschauer erleben an diesem Tag das gesamte Spektrum der Emotionen: Freudentränen, glänzende Augen, strahlendes Lachen – aber auch Enttäuschung. Viele in den Zuschauerrängen sind überrascht und beeindruckt von der Leistung und der grossen Herzlichkeit der Athleten. Der Respekt gegenüber allen Teilnehmenden ist in jedem Augenblick greif- und spürbar.

An einem solchen Turnier verschwinden sämtliche Barrieren. Es ist egal, welche Sprache der Karateka spricht. Die Einschränkungen der Athleten stehen nicht im Vordergrund. Alle sind stolz, dabei sein zu dürfen. Hier sind sie Sportler, Karatekas, und werden als solche von den Zuschauern, den Coaches und Kampfrichtern wahrgenommen.

Nachdem die letzten Kategorien ihren Wettkampf beendet haben, verfolgen alle gebannt die verschiedenen Vorführungen, die nun auf dem Programm stehen. Die «Wadokai Karateschule Rorschach» und «Karate Do Schlieren» zeigen mit ihren Karatekas, dass auch die Kampfart Kumite möglich und auf keinen Fall gefährlich ist. Ein anderer Karateka stellt die Schwert-Kampfkunst Iaido vor, die mit grosser Disziplin ausgeführt werden muss. Als Letzter zeigt der mehrfache Para-Karate-Weltmeister Sven Baum im Rollstuhl eine rund zweiminütige Kata, die mit von vielen mit offenem Mund bestaunt wird.

Medaillen vom Verbandspräsidenten
Roland Zolliker, Präsident der Swiss Karate Federation, übergibt höchstpersönlich den Athleten ihre Medaillen. Niemand muss mit leeren Händen nach Hause gehen. In den Kategorien Junior, Elite, Senior und «Trostrunde» erhalten alle eine Medaille oder den Pokal. Für die Teilnehmer geht nach der anschliessenden Tatami-Party ein ereignisreicher Wettkampftag zu Ende. Müde, aber dankbar und zufrieden reisen alle wieder nach Hause – auch Lilli. Mit der Medaille um den Hals hofft sie auf eine nächste Austragung des nationalen Karate-Turniers. Die 63-Jährige wird auch dann wieder stolz dem Publikum ihre Kata zeigen und alle überraschen.