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Wenn die Suche nach Hotels zur grossen Challenge wird

Luana Bergamin führt die Schweizer Delegation als Chef de Mission an die Paralympics in Südkorea. Zu ihrem Job ist die Heidnerin per Zufall gekommen.

Mit dem Stellenwert des Behindertensports hierzulande ist sie zufrieden, sieht aber noch Luft nach oben. Alles hat mit einem simplen Inserat angefangen: Mit einem Flyer suchte Plusport, der Schweizer Verband der Behindertensportler, an der Universität Bern nach neuen Guides für behinderte Athleten. So kam Luana Bergamin in Kontakt mit einem blinden Skifahrer.

«Am Anfang hatte ich schon ziemlich grossen Respekt», gibt die 32-Jährige aus der Lenzerheide zu, «mein Partner war aber total unkompliziert.» Ihre Aufgabe klingt simpel: «Ich fahre voraus und kommentiere dabei laufend.» Durch ein Headset kann sie ihren Partner so vor eisigen Stellen, Bodenwellen und sonstigen Unregelmässigkeiten warnen. Ganz so einfach wie es klingt, ist die Aufgabe aber doch nicht. Bergamin: «Ich kann mich nicht nur auf mich selbst konzentrieren und muss ständig zurück schauen.

Dies entspricht eigentlich völlig entgegen der Technik beim Skifahren.» Das Skifahren hatte Bergamin schon immer im Blut. Bereits als Kind ist sie in ihrer Heimat Lenzerheide im Skiclub. Als 16-jährige gibt sie in Obersaxen ihr Debüt auf der FIS-Stufe, besucht das Sport-Gymnasium in Davos. 2007 folgte die Teilnahme an der Universade.

Zum Durchbruch reicht es allerdings nie. So entschliesst sich Bergamin für ein Sportstudium an der Universität Bern, verdient ihr Geld danach als Sportlehrerin in Zürich, bevor sie sich vollends dem Behindertensport verschrieb. Als Bereichsleiterin Sport & Entwicklung arbeitet sie zurzeit bei Plusport, dem Verband für Behindertensport in der Schweiz.

Ski-Spektakel in St. Moritz

Diese Woche gastiert der Ski-Weltcup der Behindertensportler in St. Moritz.
Auf dem Programm stehen zwei Abfahrten (Mittwoch und Donnerstag), zwei Super-G (Freitag) und eine Parallel Challenge (Samstag). Luana Bergamin verspricht sich einiges: «Wegen den Olympischen Spielen hatten wir eine intensive Vorbereitung und sind dementsprechend bereit.»  Als Chef de Mission führt sie die Schweizer Paralympics-Delegation an die Olympischen Spiele in Pyeongchang vom 9. bis 18. März 2018.

Grosse Schweizer Delegation

Bergamin ist immer wieder beeindruckt von ihren Athleten: «Sie hadern nie mit ihrem Schicksal und sind äusserst unkompliziert.» Angst vor der grossen Verantwortung, die dieser Job mit sich bringt, hatte sie nie: «Die Sportler wissen, dass Fehler passieren können. Vorwürfe sind da fehl am Platz.» Sportler - als solche sieht sie ihre Athleten. «Ich schaue sie nie als Behinderte an», so Bergamin.

Die Spiele in Südkorea sind für die Bündnerin bereits die dritten nach Sotschi 2014 und Rio de Janeiro 2016. Reiste an den letzten Winterspielen nur eine Ski-Equipe nach Russland, dürfte die Schweizer Delegation in Pyeongchang im Langlauf, Curling und im Skifahren vertreten sein. «Für alle Athleten wird das ein riesiges Highlight, von dem sie schon seit Monaten sprechen.» «Den Schwung ausnutzen» Die Spiele sind aber auch mit grossem Aufwand verbunden, auch wenn sie nicht mehr selbst als Guide aktiv ist. «Das Reisen ist etwas vom aufwendigsten», sagt sie.

Schon nur die Suche nach einer geeigneten Unterkunft kann zu einer Herausforderung werden, schliesslich muss die ganze Infrastruktur barrierefrei zugänglich sein. Nicht selten stösst der Verband aufgrund der hohen Anforderungen an den finanziellen Möglichkeiten. Die Örtlichkeiten in Pyeongchang inspizierte Bergamin bereits und stellte erfreut fest: «Die Leute sind sehr motiviert und begeistert. Sie können es kaum erwarten, ihr Land der Welt präsentieren zu dürfen.» Allerdings bemerkte sie auch: «Die Infrastruktur ist enttäuschend. Bis im März sind noch einige Böcke zu beheben.» Zudem habe der Behindertensport in Südkorea einen ganz anderen Stellenwert.

Vorbild England

Ganz anders etwa als in Grossbritannien. «Die Paralympics 2012 in London waren ein grosser Aufschwung in der Szene», sagt Bergamin. Auf der Insel gelten viele Athleten als Stars, verdienen durch lukrative Werbeverträge teilweise viel Geld.

Auch in der Schweiz beobachtet Bergamin einen Aufwärtstrend: «Das Thema kommt immer mehr - vor allem auch in der Politik.» Der Behindertensport sei hierzulande gut verankert und anerkannt. Sie vergleicht die Szene mit Randsportarten. Trotzdem sieht Bergamin noch Verbesserungspotenzial. «Wir müssen das öffentliche Bewusstsein weiter stärken.» Dabei seien gerade Grossanlässe wie die Paralympics von zentraler Bedeutung. Entsprechend wichtig sind die bevorstehenden Spiele in Pyeongchang - nicht nur für den unmittelbaren Moment.

Interview: Südostschweiz, Roman Michel